In der Reihe: Zu Gast im Forum Stadtpark ist das bifeb (bundesinstitut für Erwachsenenbildung)
am 26. November 2019,
11 Uhr, Saloon
Mit Ingrid Brodnig, Andreas Holzer, Evelyn Schalk, Christian Schüller als Referent*innen und Diskutant*innen.
Eintritt frei.
Zum Inhalt:
Seit Jahren erleben wir, wie öffentliche Diskussionen von Hetze, Falschmeldungen, rechtsextremen Erzählungen und Verschwörungstheorien dominiert werden. Demokratische Grundlagen, Rechts- und Sozialstaat, Grund- und Menschenrechte werden sukzessive ausgehöhlt und desavouiert. Viele rebellieren, demonstrieren, posten und schreiben dagegen an. Doch dabei bildet sich eine reaktive Schleife des „Dagegen Seins“, des „Status Quo-Verteidigens“ des Analysieren der Zustände und des Empörens darüber. Doch irgendwie merken wir allesamt, das reicht nicht.
Horst Seehofer meinte einmal, „Migration ist die Mutter aller Probleme.“ Zweifellos ist die Migrationsfrage eine wichtige, aber sie so in den Mittelpunkt zu stellen, sie zum Kristallisationspunkt der gesellschaftlich-politischen Auseinandersetzung zu stilisieren. Ist das nicht ein wenig zu dick aufgetragen? Die Asyl- und Migrationspolitik ist ein äußerst erfolgreiches Betätigungsfeld für rechte-, rechtspopulistische und -extreme bewegungen und Parteien, das steht außer Zweifel. Der Spin, der Frame und die politische Agenda Setzung gehen auf diesem Feld von rechts und rechts-außen aus und wird durch gemäßigte rechte wie linke Gruppen und Parteien, die in Regierungen sitzen, sowie von breiten Teilen der Medien weiter getragen, verbreitet (siehe auch Falter Beitrag)
Das fängt nicht bei Kickl, Salvini, Orban, Weidel und Konsort*innen an, sondern hört dort vielmehr auf und wird von denen immer eine Runde weiter gedreht, hin zu Radikalisierung, zur Hetze, zur Dehumanisierung und schließlich zum Außerkraftreten von Demokratie und Menschenrechte. Jenny Holzer, US-amerikanische Künstlerin aus New York, stellt in einer ihrer Installationen fest: „The beginning of the war is secret“ (Der Beginn des Krieges ist geheim). Und so ähnlich ist es auch hier. Wo der genaue Start der Kampagne ist, lässt sich nicht mehr sagen. Aber es setzt sich bei der Übernahme von Themensetzungen und Spins fort. Ein solches Narrativ ist etwa, das Migration ein sicherheitspolitisches Problem sei oder dass wir von der „Wassermetapher“ überflutet werden („Asylantenflut, Migrationsströme“).
Die europäische Migrationspolitik, die den Namen nicht verdient, bietet lediglich militärisch-sicherheitspolitische Scheinlösungen an, die zur Verschärfung beitragen und zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Toten an den Grenzen und in den Lagern von Drittstaaten führt. (siehe auch Beitrag im ORF)
Kein*e österreichische*r Innenminister*in seit 1989 hat bisher das Problem der langen und schlechten Asylverfahren gelöst; und auch nicht, dass es Personen in Österreich gibt, die weder einen Aufenthalt in Österreich besitzen, noch zurückgeschickt werden können und daher ein Leben am Rande der Gesellschaft und ohne gesichert Existenz leben müssen, das nicht selten in die sozioökonomische und psychische Verwahrlosung führt. (siehe auch Falter Beitrag) Vielmehr scheint es so zu sein, dasss mit der Untätigkeit und Verschleierung das gewolt, bis etwas passiert.
Wir wollen – ja wir müssen – aus diesem „Hamsterrad“ heraus, aus den Narrativen und den Agenda Settings der Neoliberalen, der Rechtspopulist*innen, und -extremen; und wir wollen doch schließlich nicht deren Inhalte – direkt oder indirekt – auch noch verbreiten. Also was tun und wie weiter?
Wir werden uns einen Tag nehmen, uns austauschen und Impulse aus verschiedenen Ecken erhalten, wie etwa von der Netzspezialistin Ingrid Brodnig, dem Journalisten Christian Schüller, der sich beim ORF seit Jahren mit investigativen, aber auch konstruktivem Journalismus beschäftigt, mit der Autorin und Aktivistin Evelyn Schalk und mit dem Sozialwissenschaftler Andreas Holzer, der sich intensiv mit öffentlicher, politischer Kommunikation und Kultur auseinandersetzt. Sie werden uns anregen, uns aufstacheln, verwirren und Lösungen anbieten, uns weiter helfen und selbstreflexiv unser politisch-kommunikative Verhalten zu be- und überdenken.
Timeline:
11:00 Uhr Eröffnung der Veranstaltung (Forum Stadtpark, bifeb)
11:30 Uhr Andreas Holzer (Sora Institut), Agenda 1: Politisches Framing und Agenda Setting
14:00 Uhr Ingrid Brodnig, Agenda 2: Digitale Medien. Propaganda, Manipulation und Hass im Netz
15:45 Uhr Christian Schüller, Agenda 3: Medien, Politik und investigativer, konstruktiver Journalismus
17:30 Uhr Evelyn Schalk, Agenda 3: Medien, Politik und investigativer, konstruktiver Journalismus: „So wie bisher, kann es nicht weitergehn!“
Referent*innen:
Andreas Holzer:
Geboren 1976 in Klagenfurt hat Politikwissenschaft mit Fächerkombination Soziologie und Recht an der Universität Wien studiert und arbeitet seit 2003 bei SORA.
Er forscht zu den Themen Wahlen, Politischer Kultur und Lebensqualität. Er hält Seminare zu Framing, Emotionen in Politik und Kampagnen sowie zu politischen Strömungen in Europa. Als ausgebildeter Coach berät er Organisationen und begleitet Gruppen u.a. zu den Themen Strategie und politischer Kommunikation. Vorträge und Publikationen zum Thema Wahlen.
Zum Vortrag:
Das Wahljahr 2017 war geprägt vom Thema Zuwanderung, während Themen wie soziale Ungleichheit dabei vergleichsweise in den Hintergrund traten. Der Vortrag vermittelt die Grundlagen des politischen Framings nach George Lakoff und des Agenda Settings in der Politik. Aktuelle Bilder in der Migrationsdebatte und deren Verknüpfungen sollen im Vortrag analysiert werden. In anschließender Diskussion sollen mögliche Wege zu humanistischen Narrativen beschritten werden.
Ingrid Brodnig:
Ist Journalistin und Autorin. Im September 2019 erschien ihr drittes Buch: „Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechts Internet kämpfen müssen“. 2017 erschien ihr zweites Buch „Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren“. Im Jahr zuvor veröffentlichte sie das Werk „Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können“.
Sie hält Vorträge und Workshops zur digitalen Selbstverteidigung in Zeiten von Hasskommentaren und Falschmeldungen und verfasst für das österreichische Nachrichtenmagazin Profil die wöchentliche IT-Kolumne #brodnig. Ihre Arbeit wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch. Im Frühjahr 2017 wurde sie auch zum Digital Champion Österreichs in der EU-Kommission ernannt, eine ehrenamtliche Position zur Förderung des Wissens über Digitalisierung
Mehr Infos: brodnig.org.
Christian Schüller:
Geboren 1958 in Wien. Matura am Lycee Francais, Studium der Linguistik in Wien. Seit 1977 als Journalist tätig. Zuerst in der außenpolitischen Redaktion des ORF, dann Korrespondent in den USA, Lateinamerika, Sowjetunion, Türkei und Iran. Dazwischen Gründer und sechzehn Jahre lang Leiter der Reportagereihe ‚Am Schauplatz‘. Ausbildung als Executive Coach und Teamentwickler am Institute of Group Analysis in London und am Tavistock Centre. Tätigkeit als Coach und Leiter von Reflexionsgruppen im ORF, im Allgemeinen Krankenhaus Wien und bei der Flüchtlingsbetreuung der Diakonie. Lehrauftrag zum Thema ‚Ethik des Journalismus‘ an der Sigmund Freud Universität in Berlin/Institut für Medien und Journalismus.
Zum Vortrag:
Die fremdenfeindliche Hetz-Kampagne, die österreichische Medien vor dem Hintergrund einer Mordserie losgetreten haben, zeigt einmal mehr, dass aufgeklärte, differenzierte Sichtweisen und Einschätzungen heute schwer Gehör finden. Jedes Sachargument, das die verzerrte Darstellung zurechtrücken könnte, wird von populistischer Seite als Beschwichtigung verunglimpft und damit zur Bestätigung der eigenen Thesen genutzt. Was kann dieser Hegemonie der Unvernunft entgegengesetzt werden?
Im Vortrag soll versucht werden, über Frustration, Ohnmacht und Empörung hinaus zu denken. Das beginnt damit, dass wir unsere eigene Rolle als Kommunikatoren kritisch hinterfragen. Wäre es nicht zielführender, die Auseinandersetzung um Asyl und Fremdenrecht weniger als moralische Glaubensfrage zu begreifen, und mehr als einen Konflikt um Machtgrenzen?
Evelyn Schalk:
Evelyn Schalk, geboren 1981 in Graz, Studium der Romanistik, Germanistik und Medienfächerkombination; freie Journalistin und Autorin; Mitherausgeberin und Chefredakteurin des ausreißer – Die Wandzeitung und tatsachen.at; Kolumnistin bei perspektive – hefte für zeitgenössische literatur; Reportagen, Artikel, Essays für Standard, mare, Megaphon, Beton International u.a., Publikation von Graz abseits der Pfade; 2013-16 Mitglied des Kulturbeirats der Stadt Graz; 2016 Leitung der Europäischen Theaternacht; bis 2018 Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich. Aktuell Arbeit am Literaturprojekt nacht.schicht quer durch Europa.
Zum Vortrag:
Am Beginn des Jahres 2019 sind die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben nicht mehr gegeben. Der Aufstieg der extremen Rechten und die Tatenlosigkeit bzw. deren Akzeptanz und damit Legitimierung durch vermeintlich demokratische Kräfte strafen die proklamierte Anerkennung humaner Werte als Entscheidungsbasis und Ziel Lügen. Demokratie, Menschenrechte, Genfer Konvention, Internationales Recht und Medienfreiheit werden nicht mehr nur von diktatorischen Regimen ignoriert bzw. außer Kraft gesetzt, sondern quer durch Staaten, Parteien und Institutionen preisgegeben.
In diesem Prozess spielen Medien eine entscheidende Rolle. Für all jene Journalist*innen und Medienschaffende, die sich mit einer solchen Entwicklung nicht gemein machen, sondern ihr etwas entgegensetzen wollen, bedeutet dies die dringende Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des eigenen medialen Feldes sowie den Mut, neue Methoden des Arbeitens und Publizierens auszuloten.
Das ist einerseits Frage der Ressourcen (mit der immer eine der Un/Abhängigkeit einhergeht), aber auch eine der Kommunikationsbereitschaft und des journalistischen Selbstverständnisses. Für wen arbeite ich zu welchen Bedingungen mit wieviel Entscheidungsfreiheit und in welcher Funktion? Aber auch: Welche Inhalte bringe ich wie und aus wessen Perspektive an die Öffentlichkeit?
Tatsachen zu berichten ist die zentrale journalistische Aufgabe. Aber bekanntlich schaffen Medien auch Tatsachen. Die Auswahl von Inhalten und Schwerpunkten sind bewusste Entscheidungen. Die Welt verändert sich durch das Wissen der Menschen, die in ihr leben. Durch einen öffentlichen Diskurs entsteht und manifestiert sich Wirklichkeit, er verändert private und politische Entscheidungen und Verläufe. Dieser Prozess ist Teil jeder demokratischen Verfassung, zu deren Fundamenten Medien- und Pressefreiheit zählen. Dieser Diskurs wird aktuell in Europa und weltweit massiv beschnitten.
Notwendig sind Haltung statt Pseudoobjektivität. Multiperspektivische Sichtweisen statt großer Einzelerzählung. Beteiligung auf Augenhöhe, statt Objektivierung des Gegenübers. Kooperationen statt lonely heroes. Austausch statt Wettbewerb – denn Tatsachen enden nicht an Redaktionstüren oder Landesgrenzen, dort beginnen sie.
(aus: „So wie bisher kann es nicht weitergehen.“ https://tatsachen.at/2019/01/11/so-wie-bisher-kann-es-nicht-weitergehen/ )
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