Serie: Allen was gemeinsam, Teil 8: Im Kampf an der Arbeitsfront

Burnout und was daran falsch läuft!

Petra[1] ist seit vielen Jahren mit vollem Einsatz dabei. Sie ist Mitarbeiterin einer Einrichtung im Sozialwesen. Nach der Matura hat sie die Fachhochschule für Soziale Arbeit besucht, ihren Bachelor gemacht, bald danach zu Arbeiten begonnen. Nach einigen Jahren Berufsleben hat sie sich entschlossen, neben der Arbeit ein Master Studium zu beginnen. Alle bescheinigten ihr, dass sie hervorragende Arbeit leistete, theoretisches Wissen mit ihrer praktischen Erfahrung verbunden hat, bestens vernetzt war. Petra hatte Freude an ihrem Beruf, war voll dabei. Wenn es einmal ein paar Stunden mehr wurden, um die Arbeit zu erledigen, wurden die von ihr nicht auf die Waagschale gelegt, sie machte das gerne.

In der Organisation vollzog sich seit Jahren schon ein Wechsel der Prioritäten. Unter dem Aspekt der Effizienz und der Qualitätssicherung waren nach und nach sogenannte Tools eingeführt worden, die die Organisation schlagkräftiger, effektiver und kostenbewusster machen sollten. Indikatoren und Parameter, Kreisläufe der Wirkungsorientierung und Bench Markings waren somit keine Fremdwörter mehr, sondern Arbeitsalltag. Nachweisbarkeit des Erfolgs der Organisation und diesen zu messen, wurde somit zur Priorität erhoben. Niemand hatte etwas dagegen, dass man nicht nur effektiv (was getan wird) sondern auch effizient (wie es getan wird) zu arbeiten hatte.

Von Jahr zu Jahr wurde deutlicher, dass an allen Ecken und Enden gespart wird. Effizientes Verwalten hieß auch einsparen. Die öffentlichen Fördergelder wurden weniger, die Anforderungen – sprich Kennzahlen, sprich KlientInnenzahlen, sprich Dauer der Beratung usw. – höher; gleichzeitig aber die Regelungen und Einschränkungen immer rigider, die Kontrolle immer genauer, die Bürokratie stieg. Und so begann die Organisation Mittel zu kürzen, wo es eben ging: Ressourcen, die früher selbstverständlich waren, standen nicht mehr zur Verfügung. Supervision wurde begrenzt. Weiterbildung konnte man nicht mehr so einfach in Anspruch nehmen. Personal wurde abgebaut bzw. durch junge Teilzeitkräfte ersetzt, vermehrt PraktikantInnen eingesetzt.

Das Denken wurde von der Ökonomie beherrscht – Budgets und Kostenstellen, Einsparungspotenziale und Fragen nach der Anspruchsberechtigung wurden laut. Die Angst ineffizient zu arbeiten oder gar Missbrauch zu zulassen, begann sich wie ein Virus in der Organisation zu verbreiten. Da passte das Innenleben der Organisation mit den allgemeinen Trends, draußen in der Welt zusammen. Da die Organisation unter anderem öffentliche Gelder erhielt, wurde der Effizienz- und Austeritätskurs der öffentlichen Hand (Stadt, Land und Bund) überall spürbar.

Petra machte unbeirrt weiter. Sie spürte, dass es anders wurde. Dass das Wohl der KlientInnen nicht mehr im Mittelpunkt stand. Es stieg der Aufwand der Dokumentation, ihr Anteil an Kontrolltätigkeiten wurde immer mehr. Sie musste sich für Ausgaben rechtfertigen, denn ihre Arbeitsaufgaben richteten sich nach den Aufträgen, die die Organisation für die öffentliche Hand übernahm. Sie wurde dort eingesetzt, wo man sie brauchte. Ob das ihr gefiel oder nicht, war dabei ohne Belang. Auch ihre Mehrleistungen wurden weder honoriert, noch geschätzt.

Als eine Leitungsstelle in der Organisation neu zu besetzen war, machte sie sich große Hoffnungen, diese zu bekommen, nicht umsonst hatte sie ja schließlich ein Studium absolviert. Doch daraus wurde nichts, ein Kollege, der vor drei Jahren kam, erhielt die Stelle. Das kränkte sie.

Hinweise, dass mit Petra etwas nicht mehr in Ordnung war, gab es in letzter Zeit einige. Sie wurden aber weder von ihr, noch von der Leitung ernst genommen. Sie banalisierte, wenn man sie darauf ansprach und spielte ihre Frustration herunter, ignorierte die Zeichen. Im Falle von Petra fruchteten schließlich rationale und beruhigende Anweisungen nicht mehr. Ihr Rad, in dem sie drinnen steckte, lief immer schneller, wurde von ihr selbst angetrieben, durch sie selbst in Schwung gehalten und durch die Außendynamik befeuert. Sie tat immer mehr vom selben. Das war zu viel. Wollten Vorgesetzte sie von der Arbeit befreien, sie entlasten und in den Urlaub schicken – für eine Atempause – empfand sie das als Affront und Kritik an ihrer Arbeit. Bis nichts mehr ging. Bis das „System Petra“ körperlich und geistig zusammenbrach.

Tiefpunkt

Was bei einem solchen Zusammenbruch passiert, ist für Außenstehende schwer nachzuvollziehen. Aber er stellt den Endpunkt eines langen Prozesses des „Ausbrennens“ dar, in dem die Kräfte schwinden, keine Perspektiven mehr gesehen werden, die Möglichkeiten aus dem Kreislauf auszusteigen, scheinbar immer kleiner werden. Viele der Gefährdeten ziehen sich zurück, machen immer mehr vom selben und ziehen sich so selbst immer tiefer in den Strudel, können auch nicht mehr abschalten. Frühzeitige Hilfen, die von außen angeboten werden – Supervision, Stundenreduzierung, Auszeiten/Karenz u.ä. – können von den Personen selbst häufig nicht mehr angenommen werden. „Man sei ja nicht krank“ oder „man schaffe das schon, ist nur eine vorübergehende Schwäche“ sind dabei oft zu hören. Die Überforderung betrifft Körper und Geist.

Schließlich geht es – wenn der Zusammenbruch da ist – ohne multidisziplinäre Hilfe nicht mehr. Der Tiefpunkt stellt oft den Beginn einer langsamen und langwierigen Rückkehr in ein einigermaßen normales Leben dar und das ist keineswegs gesichert. Arbeitsfähigkeit kann oftmals nie mehr erreicht werden.

Diagnose Burnout[2].  Ein psychischer und physischer Ausnahmezustand, ein Zusammenbruch des Systems. Das ist nicht „überarbeitet, gestresst oder urlaubsreif“. Burnout ist ein bedrohlicher – ja lebensbedrohlicher – Ausnahmezustand, der mit allen zuvor erlebtem wenig zu tun hat.

Gegensätze

Die öffentlichen Debatten sind voll der Warnungen von Stressbelastungen und den Dynamiken in der Arbeitswelt, die für Menschen überfordernd sind. Erhöhets Arbeitstempo, permanente Lernbereitschaft, Notwendigkeit der Weiterbildung (update Gesellschaft), Konkurrenzdruck, Entsolidarisierung unter den MitarbeiterInnen und immer höhere Anforderungen an die Produktivität sind das eine, der immer größer werdende Druck auf Arbeitsverträge und die Flexibilisierung der Arbeitswelt sind das andere. Immer mehr Menschen leben – trotz guter Ausbildung und hohem Status – im permanenten Prekariat, bzw. stehen unter Druck, aus ihren Jobs hinauskomplementiert zu werden.

Die strukturellen Entwicklungen, die Daumenschrauben, die hier durch die äußeren Bedingungen angezogen werden, sind hinlänglich bekannt. Laut eines „AK Arbeitsklima Index“[3] ist jede/r Dritte im Job Burnout gefährdet. Burnout kann fast schon als Volkskrankheit bezeichnet werden. Das wiederum birgt auch seine Gefahren in sich. Es wird mit dem Hinweis, dass so etwas heutzutage eh fast jeder einmal in seinem Leben habe, gerne trivialisiert. Die ausufernde Verwendung – nicht alles was stresst und an die Belastungsgrenze führt, ist gleich Burnout – macht den Begriff inflationär. Und das bedrohliche Szenario eines Burnouts wird zu einer Auszeichnung, im „aufopferungsvollen Kampf an der Arbeitsfront“, das jede/r, der/die beweisen will, wie einsatzfreudig er/sie ist, vorzuweisen haben sollte? Das kann es ja wohl nicht sein!

In der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion finden wir eine schier grenzenlose Anzahl von Angeboten zur Burnout Behandlung und Prävention. „Kraft tanken, regenerieren, aus dem Hamsterrad aussteigen für einige Tage, Strategien entwickeln, wie man den Stress besser bewältigen kann und im Leben eindämmen kann.“

Sätze wie diese sind sonderzahl zu finden und machen einerseits darauf aufmerksam, dass man doch frühzeitig beginnen sollte, etwas für sich zu tun, um nicht in den Burnout Kreislauf zu gelangen. Also deutlich dem Trend folgend, dass man doch auch selbstverantwortlich sei. Andererseits beschleicht einem bei der Durchsicht der Angebote das Gefühl, dass es sich auch zum Teil um eine PR Masche handelt, die unter einem Label Produkte verkauft, um so an der „Wellness Welle“ teil zu haben.

 

Dass es für Burnout PatientInnen dringend Hilfe und Rehabilitation braucht, ist unbestritten und dass es für Menschen notwendig ist, früh genug – also präventiv – Maßnahmen zu setzen, damit es nicht zu Burnout kommt, ist auch evident.

Auffallend dass jedoch fest an der Schraube der „Belastungen“, die zum zunehmenden Stress und der Dynamik in der Arbeitswelt führen, im öffentlichen politischen Leben ständig gedreht wird. Organisationen, die in ihren Werbekampagnen und PR Materialien – groß aufgemacht  – Burnout Prophelaxe anbieten, stehen oft gleichzeitig unter dem Einfluss von Parteien und parteinahmen Systemen, die ständig Forderungen erheben, die den Stress, den Druck in der Arbeitswelt weiter erhöhen, die Schutz von ArbeitnehmerInnen und den „Schutz durch den Sozialstaat“ als Sozialismus brandmarken, die Prekariat und unsichere Arbeitsverhältnissen das Wort reden, die Start Ups und die damit häufige verbundene Selbstausbeutung als neue Innovation in der Arbeitswelt huldigen, die – kurz und bündig – dem neoliberalen Zeitgeist inhaliert haben und wesentlich dazu beitragen, dass die grundsätzlich schon schwierigen Verhältnisse in einer globalisierten, weltumspannenden, IT gesteuerten und von Wachstum dominierten Wirtschaft sich noch weiter dynamisieren; zu Lasten der Beschäftigten.

Dieser umfassende und massive Angriff durch Deregulierung und Flexibilisierung, die mit dem Zurückdrängen des Staates einher gehen, der als Gesetzgeber immer seltener in der Lage ist, Schutzwälle aufzubauen und Regeln zu veranlassen und diese auch durchzusetzen, hat mittlerweile auf breite Teile der arbeitenden Schichten – ob beschäftigt oder selbstständig spielt dabei wenig Rolle – massive Auswirkungen. Die Folgen am Einzelnen zu reparieren, sind erheblich und die damit verbundenen Kosten, die wir als Gesellschaft einsetzen müssen, sind dabei immens.

Zahlreiche Studien[4] belegen, dass „Burnout“ vor allem auch jene besonders trifft, die in subalternen, administrativ eintönigen, weitgehend fremdbestimmten Positionen arbeiten. Der einfache Beamte, der nach Vorschrift Akten bearbeitet und Befehle von Vorgesetzten entgegen zu nehmen hat; die Lehrerin, die mit zu großen, heterogenen Klassen arbeiten muss, ohne dass ihr Mittel dafür zur Verfügung stünden oder die Pflegekraft, die immer weniger Minuten pro PatientIn als Vorgabe vorgesetzt bekommt. Burnout ist keine Managerkrankheit und Luxusproblem der Einflussreichen, wie es gerne verkauft wird, sondern tief in der Masse der arbeitenden Bevölkerung verankert.

Bei Durchsicht der Vielzahl an Angeboten zur Burnout Prophelaxe fällt auf, dass es in den meisten Fällen um die eigene Selbstoptimierung geht – mit dem Stress noch besser umgehen zu lernen. Nach dem Motto: „Sie haben ihre Ressourcen noch nicht optimal ausgeschöpft, um dem Stress begegnen zu können.“

Dabei würde, wollte man Burnout ernsthaft entgegen treten, es dringend geboten sein, die Maßnahmen von der individuellen „Wiederrichtung“ auf den Fokus zur strukturellen Ebenen zu lenken. Dort, wo der Arbeitsdruck immer stärker, der Schutz für Beschäftigte immer geringer und die ökonomische Durchdringung aller Lebensbereiche immer penetranter wird. Selbst dort, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat und zu verheerenden gesellschaftlichen Verwüstungen führt, wie Clemens Sedmak[5] dies ausführte, hat sie mittlerweile Einzug gehalten.

Der Kern Sedmaks Aussagen: „Es passiert etwas mit dem System, wenn Sie es rein nach Marktgesetzen ablaufen lassen und zweitens, es lassen sich nicht alle Gesetze des Marktes auf sämtliche Lebenssphären der Menschen übertragen, ohne dass etwas passiert, was nachteilig für Gerechtigkeitsüberlegungen sein kann.“

In diesem Sinne, sei wieder einmal der strukturelle Blick und die entsprechenden politischen Augenmerke darauf gelenkt!

[1] Name geändert.

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Burn-out#Burnout_als_Diagnose

[3] http://derstandard.at/2000058071914/Ueberlastung-im-Job-Jeder-Dritte-fuehlt-sich-Burnout-gefaehrdet?ref=rec

[4] U.a. jene Metastudienanalyse von Richard Wilkinson, zum Thema Ungleichheit und Gesundheit, siehe „Kranke Gesellschaften“ (2001) und „The Spirit Level“ (2010) gemeinsam mit Kate Pickett.

[5] Sedmak, Clemens: „Gesundheit für Alle – Ethik im Spannungsfeld. Eröffnungsrede zum 15. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2009.