Herr Boisenberg kommt nicht mehr zurück

Dienstag, 12. Mai

Heute ist etwas anders. Die Boisenbergs liegen nicht in ihren Liegestühlen! Das ist dramatisch, möchte ich sagen. Naja, dramatisch ist vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen; geb´ ich zu. Aber es ist auffällig, unüblich, den bisherigen Gepflogenheiten nicht entsprechend. Herr und Frau Boisenberg sind seit einigen Wochen sozusagen meine Nachbarn. Dass sie auf ihrer kleinen Terrasse vor ihrem Bungalow liegen, wenn ich von meiner kleinen Terrasse runter schaue, oder heim komme oder gerade weg gehe, das war bisher so normal, wie der Atlantik da draußen, der sich mit all seiner Kraft gegen die Klippen wirft und dabei einen beständigen Lärm verursacht.

Die ganze Ferienanlage ist proper und sauber – terrassenförmig angelegt, dutzende Bungalows, alles gut abgezäunt. Im Zentrum liegt der Swimming Pool, der Boisenbergsche Bungalow direkt darüber. Von den meisten Bungalows hat man einen herrlichen Blick auf den Atlantik hinaus, Richtung Süden und Osten. Durch die Anlage führen, mit dunklen, vulkanischen Steinen ausgelegte Gehwege. Zwischen kleinen Mäuerchen und perfekt gestalteten Blumenbeeten sind Orangen-, Zitronenbäume, riesige Oleanderbüsche und Palmen gepflanzt. Pedro kümmert sich um alles, ist emsig und achtet, dass es den deutschen Besitzern gut geht und alles so ist, wie sie es haben wollen. Dass der Pool sauber ist, die Wegelampen leuchten und das Laub zusammen gerecht wird; und vor allem, dass niemand sich in der Anlage herumtreibt, der sich nicht herumtreiben sollte.

Wenn ich von meinem Morgenlauf und dem Strandbad zurück komme, sonnen sie sich bereits. Wenn ich weglaufe und die Sonne gerade aufgeht, bereiten die Boisenbergs in ihrem verglasten Wintergarten ihr Frühstück vor. Da liegen sie dann, Frau Boisenberg links, der Herr Boisenberg rechts; die Liege von ihm ist deutlich durchgelegener. Er ist ja auch ein stattlicher Mann mit einem ordentlichen Wohlstandsbäucherl. Wir grüßen uns und halten Small-Talk. Sie kennen das ja – übers Wetter und so.

Die Boisenbergs habe ich noch nie am Strand gesehen, noch nie und ich bin doch schon einige Wochen hier. Es wäre wirklich nicht weit; man muss nur den Weg an den anderen Bungalows vorbei, hinunter zum Tor, das die Anlage absichert, dann folgt man dem betonierten Weg an der Steilküste entlang – darunter der dosende Atlantik –, steigt ein paar Stufen hinunter und hat einen wunderbaren Strand zur Verfügung. Aber nein, sie sitzen am Pool. Wahrscheinlich ist es ihnen zu weit und nicht ruhig und sauber genug!

Mittwoch, 13. Mai

Ich sitze auf meiner Terrasse und frühstücke. Die Boisenbergs sind heute schon wieder nicht da. Was ist da los?

Die Boisenbergs! Nicht, dass ich eine besondere Beziehung zu ihnen aufgebaut hätte, missverstehen Sie das bitte nicht falsch! Dazu ist mir die Art Urlaub zu machen, zu eintönig und wir – die Boisis und ich – sind ja auch verschiedene Generationen, haben wenig Anknüpfungspunkte – Fußball vielleicht, mit ihm. Aber sonst? Ab acht Uhr morgens in den Stühlen liegen und sich sonnen! Nein, das wär nix für mich. Dementsprechend schaut Herr Boisenberg auch aus. Dunkelbraun, ledrig und gegerbt wirkt seine Haut. Das kann nicht gesund sein.

Und vor allem, es muss alles nach Plan sein: 12.00 Uhr schlurft Frau Boisenberg ins Haus und macht das Mittagessen. Das nehmen sie um 12.30 Uhr ein. Es ist für Frau Boisenberg sichtlich anstrengend, sie scheint nicht mehr die fitteste zu sein, sie wirkt auch schon ein wenig gebrechlich, abgemagert, fahl und das obwohl sie so viel in der Sonne sitzt. Schwer zu schätzen wie alt sie ist, 70-80 Jahre vielleicht. Am Vormittag – um 10.00 Uhr – geht Herr Boisenberg einkaufen und in der Zeit macht Frau Boisenberg den Haushalt, langsam, bedächtig. Manchmal hört man den Staubsauger, ganz so wie zu Hause in Deutschland. Man hat es ja nicht eilig. Aber vielleicht ist es für sie auch schon zu anstrengend. Könnten sich ja durchaus eine Hausangestellte leisten, oder nicht? Wer sich so einen Bungalow leistet…!

Auf dem Weg zum Supermarkt nimmt er immer den Müll zu den Mülltonnen mit. Nach dem Essen halten sie Siesta. Später – so gegen 14:30 Uhr – sitzt Herr Boisenberg am Tisch im Wintergarten und liest Zeitung. Dann ab 15.00 Uhr liegen sie meist wieder in ihren Liegestühlen, jetzt aber unter ihren jeweiligen Sonnenschirmen, er einen einfärbig gelben, sie einen bunten. Manchmal kommen am Nachmittag andere Bungalow- Besitzer und deren Frauen vorbei, dann plaudern sie. Worüber? Das hör ich nicht, interessiert mich auch nicht. Meistens gehen sie zusammen in den Pool; man planscht, von schwimmen ist keine Rede. Gegen 19.00 Uhr ist Schluss. Man verabschiedet sich, die Boisenbergs nehmen dann noch eine Abendjause zu sich. Später sieht man das bläuliche Licht des Fernsehers und nach 23.00 Uhr ist es im Boisenbergschen Bungalow dunkel.

Donnerstag, 14. Mai.

Ich bin entsetzt, geradezu erschüttert. Ich habe gerade Pedro am Pool getroffen, als ich vom Strand zurückgekommen bin. Er hat mir erzählt, dass Frau Boisenberg gestern morgens in Las Palmas ins Krankenhaus eingeliefert worden ist und gerade vorhin hat Herr Boisenberg angerufen, dass sie heute in der Nacht gestorben sein. Sie hatte Krebs, schon seit längerem. Sie wollten hier in ihrem Bungalow ihre letzten Wochen und Tage gemeinsam verbringen. „So wie es immer war, meinte sie und lächelte tapfer.“ Pedro standen Tränen in den Augen. Der Bungalow werde verkauft, denn Herr Boisenberg kommt nicht mehr zurück.